Wenige Tage vergehen und Michi spricht
immer noch vom Auswandern
So ein Scherzkeks
Aber gut, ich spiele nach wie vor mit, schließlich
will ich ihm seine Illusionen nicht zerstören.
Zwar fühlt er sich seit seinem Schlaganfall
mit dem anschließenden Eingriff ins Gehirn
um einige Jahre gealtert, beruflich nicht mehr so
leistungsfähig und es stehen gravierenden Änderungen
in der Firma bevor, aber reicht das für ihn,
um mit der Firma Schluss zu machen   
Für mich völlig unerwartet kommt dann
Michis Meldung beim Abendessen „morgen müssen
wir sehr früh aufstehen, wir haben einige Erkundigungen
bei Ämtern einzuholen“ (Anmerkung: Wir
stehen immer sehr früh auf ).
Aber was soll das
Die Urlaubszeit ist vorbei und morgen ist ein Arbeitstag
Seit wann nimmt sich denn Michi wegen Behördengängen
frei
Das ist ja ganz etwas Neues…
Ok, er hat Recht, wenn man auswandern will, gehört
das nun mal dazu. Doch geht das langsam nicht zu
weit
Von der Firma wegbleiben, nur weil Michi einer Urlaubslaune
nachhängt 
Wir klappern also diverse Ämter ab, erfahren
dies und das – und Michi notiert und notiert.
Da wir gerade in der Stadt und in der Nähe
eines Buchladens sind, schlägt Michi vor, ich
solle mir doch einen Intensiv-Spanisch-Kurs auf
CD-ROM inklusive des entsprechenden Unterrichtsbuches
kaufen.
In meinem Kopf kreisen Gedanken wie z. B. „soll
ich jetzt tatsächlich just for fun mit dem
Spanisch-Kurs in Form von einem Selbststudium beginnen?“
Langsam beginnt mir dieses Spiel keinen Spaß
mehr zu machen: Unnütze Behördengänge,
jetzt vielleicht noch spanisch lernen, was kommt
als nächstes 
Ich meine – es ist ja wirklich witzig
WIR und auswandern
Nie und nimmer
Aber gut, ich will kein Spielverderber sein, die
„zukünftige“ Landessprache zu pauken,
gehört dazu. Schauspieler müssen auch
alle möglichen Texte lernen und ich lerne ab
morgen halt spanisch. Das Ganze nimmt kuriose Formen
an
Fragt sich nur, wie lange ich noch durchhalte, ehe
ich in schallendes Gelächter ausbreche 
Ab jetzt sitze ich also Tag für Tag –
artig, wie ich nun mal bin – vor dem Laptop,
um mich ein wenig mit der spanischen Sprache anzufreunden.
Mit meinen Fortschritten wäre ich ganz zufrieden,
aber wozu das alles
Wann kehrt denn endlich wieder der Alltag ein 
Nicht so schnell, wie sich rasch heraus stellt…
An einem Mittwoch Mitte Oktober 2005, Michi ist
im Büro, läutet mein Handy. Michi ist
dran und erzählt, er war heute Vormittag beim
Betriebsrat, um seine Pläne mit ihm zu besprechen.
Wie  
Was  
Beim Betriebsrat, um seinen Ausstieg aus der Firma
zu besprechen  
Ich spüre, wie mein Puls zu rasen beginnt,
bin mir aber nicht sicher, ob ich träume oder
wach bin. Um das heraus zu finden, zwicke ich mich
fest in den Arm. Autsch
Da haben wir es: Ich träume also nicht…
Ist es denn kein Spiel
Aber das kann nicht sein, Michi ist doch hauptsächlich
mit der Firma verheiratet
Wie stellt er sich sein Leben ohne Firma vor 
Obwohl ich etwas verunsichert bin, nehme ich ihn
immer noch nicht ernst.
Es vergehen 48 Stunden, ich lerne wieder mal ein
paar Worte spanisch, Michi ist in der Firma.
Mein Handy bimmelt (ist ja keine Seltenheit), Michi
ist dran (eher eine Seltenheit). „Heute war
ich beim Chef und habe ihm meine Entscheidung mitgeteilt,
dass ich zum Arbeiten aufhöre“.
Plumps  
Ich glaube, jetzt war ich ganz kurz ohnmächtig
Ohne Frühpension, ohne Arbeitslosengeld 
„Wie noch mal
Du hast einfach gesagt, du hörst zum Arbeiten
auf “
„Ja, aber ich bot ihm an, er könne den
Termin innerhalb eines Jahres bestimmen. Und ich
melde mich auch nicht arbeitslos, dann liege ich
keinem auf der Tasche“.
Ich brauche dringend einen Espresso…
Das Spiel ist also beendet  
Am
14. Oktober 2005 steht fest: WIR WANDERN AUS   
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