Oktober 2005 - die endgültige Entscheidung

 

Wenige Tage vergehen und Michi spricht immer noch vom Auswandern So ein Scherzkeks Aber gut, ich spiele nach wie vor mit, schließlich will ich ihm seine Illusionen nicht zerstören.

Zwar fühlt er sich seit seinem Schlaganfall mit dem anschließenden Eingriff ins Gehirn um einige Jahre gealtert, beruflich nicht mehr so leistungsfähig und es stehen gravierenden Änderungen in der Firma bevor, aber reicht das für ihn, um mit der Firma Schluss zu machen

Für mich völlig unerwartet kommt dann Michis Meldung beim Abendessen „morgen müssen wir sehr früh aufstehen, wir haben einige Erkundigungen bei Ämtern einzuholen“ (Anmerkung: Wir stehen immer sehr früh auf ).

Aber was soll das Die Urlaubszeit ist vorbei und morgen ist ein Arbeitstag Seit wann nimmt sich denn Michi wegen Behördengängen frei Das ist ja ganz etwas Neues…

Ok, er hat Recht, wenn man auswandern will, gehört das nun mal dazu. Doch geht das langsam nicht zu weit Von der Firma wegbleiben, nur weil Michi einer Urlaubslaune nachhängt

Wir klappern also diverse Ämter ab, erfahren dies und das – und Michi notiert und notiert. Da wir gerade in der Stadt und in der Nähe eines Buchladens sind, schlägt Michi vor, ich solle mir doch einen Intensiv-Spanisch-Kurs auf CD-ROM inklusive des entsprechenden Unterrichtsbuches kaufen.
In meinem Kopf kreisen Gedanken wie z. B. „soll ich jetzt tatsächlich just for fun mit dem Spanisch-Kurs in Form von einem Selbststudium beginnen?“ Langsam beginnt mir dieses Spiel keinen Spaß mehr zu machen: Unnütze Behördengänge, jetzt vielleicht noch spanisch lernen, was kommt als nächstes

Ich meine – es ist ja wirklich witzig WIR und auswandern Nie und nimmer Aber gut, ich will kein Spielverderber sein, die „zukünftige“ Landessprache zu pauken, gehört dazu. Schauspieler müssen auch alle möglichen Texte lernen und ich lerne ab morgen halt spanisch. Das Ganze nimmt kuriose Formen an Fragt sich nur, wie lange ich noch durchhalte, ehe ich in schallendes Gelächter ausbreche

Ab jetzt sitze ich also Tag für Tag – artig, wie ich nun mal bin – vor dem Laptop, um mich ein wenig mit der spanischen Sprache anzufreunden. Mit meinen Fortschritten wäre ich ganz zufrieden, aber wozu das alles Wann kehrt denn endlich wieder der Alltag ein

Nicht so schnell, wie sich rasch heraus stellt…

An einem Mittwoch Mitte Oktober 2005, Michi ist im Büro, läutet mein Handy. Michi ist dran und erzählt, er war heute Vormittag beim Betriebsrat, um seine Pläne mit ihm zu besprechen.

Wie Was Beim Betriebsrat, um seinen Ausstieg aus der Firma zu besprechen Ich spüre, wie mein Puls zu rasen beginnt, bin mir aber nicht sicher, ob ich träume oder wach bin. Um das heraus zu finden, zwicke ich mich fest in den Arm. Autsch Da haben wir es: Ich träume also nicht…

Ist es denn kein Spiel Aber das kann nicht sein, Michi ist doch hauptsächlich mit der Firma verheiratet Wie stellt er sich sein Leben ohne Firma vor

Obwohl ich etwas verunsichert bin, nehme ich ihn immer noch nicht ernst.

Es vergehen 48 Stunden, ich lerne wieder mal ein paar Worte spanisch, Michi ist in der Firma.

Mein Handy bimmelt (ist ja keine Seltenheit), Michi ist dran (eher eine Seltenheit). „Heute war ich beim Chef und habe ihm meine Entscheidung mitgeteilt, dass ich zum Arbeiten aufhöre“.

Plumps Ich glaube, jetzt war ich ganz kurz ohnmächtig Ohne Frühpension, ohne Arbeitslosengeld

„Wie noch mal Du hast einfach gesagt, du hörst zum Arbeiten auf
„Ja, aber ich bot ihm an, er könne den Termin innerhalb eines Jahres bestimmen. Und ich melde mich auch nicht arbeitslos, dann liege ich keinem auf der Tasche“.

Ich brauche dringend einen Espresso…

Das Spiel ist also beendet

 

Am 14. Oktober 2005 steht fest: WIR WANDERN AUS

 

Nun habe sogar ich begriffen: Es war von Anfang an kein Spiel. Nie hätte ich das gedacht…

Gestärkt durch den Kaffee greife ich zum Telefonhörer. Diese Nachricht muss ich jetzt unbedingt unserer Freundin S., die wir vor kurzem auf Gran Canaria kennen lernten, mitteilen
S. freut sich riesig und verspricht neuerlich, im Umkreis von Santa Lucía eine Unterkunft für uns zu suchen und uns auch sonst behilflich zu sein

Google wird von mir gequält, ich bin auf der eifrigen Suche nach Infos „von Österreich auf die Kanaren auswandern“ oder so ähnlich. Die Ergebnisse sind mehr als spärlich. Weitaus mehr Treffer bekomme ich, wenn ich Infos zu „von Deutschland auf die Kanaren auswandern“ suche. Hier wird man von Informationen beinahe erschlagen, erfährt Vor- und Nachteile der diversen Transportfirmen, wie das mit der Verschiffung von Möbeln zu handhaben ist etc. Da wir keine Möbel mitnehmen wollen, sind die Infos zur Verschiffung selbiger für uns nicht interessant.

Außerdem nützen mir keine Infos von Deutschen, die auf die Kanaren ausgewandert sind, ich bräuchte Infos von ausgewanderten Österreichern auf die Kanaren Trotz EU gibt es doch einige Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich.
Ich sehe es schon kommen: Das wird ein Fall für „alles selbst in die Hand nehmen“.

Während Michi zunächst nur mit Kreditkarten und der Festplatte seines PCs auswandern will, denke ich doch an vieles, was mitzunehmen ist. Im Handumdrehen fallen mir Hunderte Dinge ein – nein, nur mit Kreditkarte und Festplatte, das wird nichts

Andererseits: Wo sollen wir unsere ersten Sachen auf Gran Canaria unterstellen Klar, S. betonte mehrfach, sie wird für uns eine Bleibe suchen, aber wann wird das soweit sein In meinem Kopf vermehren sich die Fragezeichen.