Juni 2006 – jetzt wird es ernst oder: „Unser neues Leben auf Gran Canaria beginnt“

 

Kurz vor unserem Abflug von Gran Canaria ist der Geburtstag von S. Diesen Tag verbringen wir mit ihr und sie lädt uns in ein italienisches Restaurant ein, in dem wir genüsslich speisen.

Tags darauf ist der Flug nach Linz und schon hat mich die Auswander-Arbeit wieder fest im Griff. Es gibt immer noch etliche Dinge, wie weiterhin Haus ausräumen, vieles will verpackt werden, die Gartenarbeiten warten auf mich.

Moment Welches Datum haben wir heute Freitag, 2. Juni 2006 Mein Kalender schafft es mühelos, mich ins Entsetzen zu bringen Nur noch 21 Tage bis zum endgültigen Flug Jetzt packt mich fast die Panik... Soooooo viel ist noch zu tun und sooooooo wenig Zeit dafür Das kann ja heiter werden...

Jetzt mal gaaanz ruhig... Ich räume für die nächsten 2,5 Wochen sämtliche Koffer in den Keller und sehe mich um. Ja, mit dem Keller bin ich sehr zufrieden. Zwar hatte ich in meinem Haushaltskeller nie eine Unordnung (im Gegensatz zu Michis Bastelabteil ), aber durch das Aussortieren unnötiger Dinge wirkt er übersichtlicher.

Huch Was war denn das für ein Geräusch – Nichts, anscheinend höre ich schon das Gras wachsen.
Ich beschließe, meine Liste der zu erledigenden Dinge durchzugehen und die Restpunkte nach Dringlichkeit abzuarbeiten. Schon wieder dieses Geräusch Wo kommt das bloß her Haben wir eine Maus oder Eidechse im Keller Ich versuche, das Geräusch zu orten, aber erst nach einiger Zeit gelingt es mir. Es kommt aus der Außentasche eines Koffers Eines ist fürs Erste sicher: Der Reißverschluss bleibt zu

Ich trage den Koffer ins Freie und bitte Michi, mit dem Fotoapparat zu kommen. Zwar haben wir keine Ahnung, welches Tier uns in Kürze in die Augen sieht, aber warten wir es mal ab. Das seltsame Kratzgeräusch ist immer wieder zu hören und ich grüble, wie ein Tier in dieses Fach kommt, zumal ich erst vor kurzem den Koffergurt genau dorthinein gab. Dankbar nehme ich den Fotoapparat entgegen und halte einen Sicherheitsabstand, während Michi mutig den Reißverschluss öffnet.
Um alles in der Welt, welch ein Tier ist denn das

 

 

So etwas sahen wir bisher nicht, nur ein ähnliches auf Hawai’i. Ein ähnliches oder war es vielleicht doch ein und dieselbe Gattung Aber von Hawai’i sind wir mittlerweile fast 5 Monate zurück, sind seither u. a. mit diesem Koffer drei Mal nach Gran Canaria geflogen – und da sollte ich das Tier die ganze Zeit weder gehört noch gesehen haben Nein, das ist eigentlich unvorstellbar.

 

 

Nun fertige ich Fotos an, die ich an eine Bekannte schicke, in der Hoffnung, sie kann mir bei der Identifizierung helfen. Und tatsächlich, sie findet heraus, dass es sich bei diesem Tier um einen Scolopendra cingulata handelt.

 

Also werden wir ihn wahrscheinlich doch von Hawai'i mitgebracht haben. Die Frage, wie er ins Kofferfach kam, bleibt ungeklärt.

Trotz – wie ich meine – ziemlich sorgfältiger Planung sieht es nun so aus, als würden sich die Ereignisse überschlagen. Nur noch 16 Tage bis zum endgültigen Abflug

Die Abschiedsfeier von der Firma steht bevor und ich soll – auch auf Wunsch des Betriebsrates – mit dabei sein. Klar, nicht nur er weiß, dass ich immer wieder für die Firma gearbeitet habe, kostenlos natürlich.

Michi und ich fahren frühzeitig in die Firma, um den Beamer zu testen und zu kontrollieren, ob auch sonst alles nach unseren Wünschen hergerichtet wurde. Erwartungsgemäß ist das der Fall.

Pünktlich treffen seine Chefs und die Kollegen ein. Eine ganz schön große Gruppe kommt zusammen, um bei der Abschiedsfeier von Michi dabei zu sein. Einige können es immer noch nicht glauben, dass Michi nicht mehr bei der Firma ist. Es wundert mich nicht, denn immerhin hat er dort über 30 Jahre gearbeitet und das nicht zu wenig. Bei seinen Kollegen war er wegen seines umfangreichen Wissens und seiner hilfsbereiten Art sehr beliebt und die dadurch entstandene Freundschaft und Verbundenheit merkt man heute noch.

Michi beginnt die Abschiedsfeier mit der zusammen gestellten Fotoshow. Sie zeigt, wie es zu unserem Entschluss, nach Gran Canaria auszuwandern, kam. Anhand von zahlreichen Fotos bekommt jeder zu sehen, wo wir uns auf dieser Insel niederlassen, wie es landschaftlich aussieht und vieles mehr. Ab und zu schweifen meine Blicke zu einzelnen Kollegen und ich sehe, wie sich manche verlegen um die Augen wischen, andere bekommen anscheinend plötzlich einen leichten Schnupfen, denn sie benötigen Taschentücher. Es ist eine Situation, die auch mich sehr bewegt.

Im Anschluss an die Fotoshow werden uns zahlreiche Fragen gestellt, dann kommen die beiden Chefs und der Betriebsrat zu Wort. Ich spüre deutlich, dass das keine Standard-Abschiedsreden sind…
Michi bekommt einige Geschenke und was mich völlig überrascht – ich bekomme wunderschöne Blumen überreicht
Trotzdem habe ich einen kleinen Kloß im Hals, während Michi über das ganze Gesicht strahlt.

Dann gehen wir zu den kulinarischen Genüssen über. Der Küchenchef hat sich wirklich sehr große Mühe gegeben und erntet ein dickes Lob.

Üblicherweise enden solche Abschiedsfeiern meist gegen 22 Uhr.
Doch es wird 24 Uhr, es wird 1 Uhr des nächsten Tages – die Kollegenschaft ist noch nahezu vollzählig! Erst ab diesem Zeitpunkt verabschiedet sich der eine oder andere. Für den „harten Kern“ zahlt es sich bald nicht mehr aus, nach Hause zu fahren, sie könnten gleich in der Firma bleiben.

Es ist eine Abschiedsfeier, wie sie eindrucksvoller nicht sein könnte

Zu sehr später, nein – eigentlich sehr früher Stunde - nehmen auch die letzten Anwesenden voneinander Abschied.

Nach nur kurzem Schlaf holen wir den Beamer und die Leinwand ab, die wir über das Wochenende benötigen, denn heute Abend ist unsere private Abschiedsfeier, zu der wir die Nachbarn eingeladen haben.
Aber wir haben nicht nur die Nachbarn, sondern auch die neuen Hausbesitzer eingeladen, damit sie die Nachbarn und umgekehrt, die Nachbarn die neuen Hausbesitzer kennen lernen können. Diese Idee wird sehr positiv aufgenommen.

Auch bei dieser Abschiedsfeier erzählt Michi, während die Fotoshow läuft, viel von Gran Canaria und wie es zum Gedanken ans Auswandern kam.

Anschließend – damit die neuen Besitzer die Nachbarn gleich von der richtigen Seite kennen lernen – schildert Michi auf witzige Art und Weise die Besonderheiten der einzelnen Personen. Alle lachen so herzlich, dass kaum ein Auge trocken bleibt

Wir bekommen zahlreiche Geschenke, die erkennen lassen, dass sich die Schenkenden viel Mühe mit der Wahl gemacht haben.

Obwohl das Restaurant um 24 Uhr Sperrstunde hat, dürfen wir bis 2 Uhr morgens bleiben und werden trotz der späten Stunde sehr freundlich bedient.

Diesem Restaurant ist ein Hotel angeschlossen bzw. umgekehrt und wir reservieren für die Nacht vom 22. auf den 23. Juni 2006 ein Zimmer – das wird bis auf unbestimmte Zeit unsere letzte Nacht in Österreich...

Im Laufe dieses Abends vereinbaren wir mit den neuen Hausbesitzern einen Termin, um sich mit Haus- und Gartengeräten vertraut zu machen, auch das Pool-Saugen ist für sie neu. Die Schlüsselübergabe wird am 22. Juni, also am Vortag unseres Abfluges sein.

In den nächsten Tagen haben wir diverse Termine bei Ämtern, zwischendurch packe ich unser letztes Übersiedlungsgut.

Auch kommen, wie vereinbart, die neuen Hausbesitzer, um sich mit allem etwas vertraut zu machen. In unserem – nein, ihrem – Haus gibt es doch ein paar Spitzfindigkeiten, die sie wissen sollten.
Da das Wetter an diesem Tag sehr schön ist, wird von den beiden auch gleich der Pool eingeweiht und sie stellen fest: Das ist eine tolle Sache Ja-ja, das wissen wir

Im Rahmen der Erklärung von manch Unbekanntem habe ich eine Idee, die ich am nächsten Tag in die Realität umsetze: Ich fülle einen DIN-A-4-Ordner mit von mir angefertigten Fotos, die z. B. den zerlegten Filter des Biotops zeigen und anhand der einzelnen Arbeitsschritte, die wiederum auf Fotos zu sehen sind, erkläre ich in kurzen Sätzen, in welcher Reihenfolge etwas geschehen sollte. Ich denke, damit kommen sie gut zurecht, außerdem sind wir ja per Telefon oder Mail zu erreichen, falls irgendwelche Fragen auftreten sollten.

So, jetzt aber noch einmal alle Fenster geputzt, die Vorhänge gewaschen, den großen Gefrierschrank abgetaut – gut, dass das Atmen automatisch funktioniert

Aber halt Wir benötigen noch einige „Linzer Torten“, denn mit je einer Torte wollen wir uns bei den neuen Nachbarn offiziell vorstellen. Also ab in die Konditorei Jindrak, dann die Torten transportsicher verpackt, wieder ein Punkt zu streichen.

Am 20. 6. melde ich unser Übergepäck über das Reisebüro bei der Airline an. Da es, wie schon beim letzten Mal, ein über das Reisebüro gebuchter Flug ist, habe ich keine andere Wahl. Ganz schön umständlich, aber was soll’s. Ich habe ja sonst nichts zu tun

Doch dann gibt es auch noch jenes Gepäck, das per Luftfracht in derselben Maschine, mit der wir fliegen, sein soll. Also ab zum Airport Linz, Abteilung Cargo, um das exakt für dieses Datum zu klären bzw. zu sichern.

So, was ist noch zu tun Die Liste ist zu meiner Freude sehr stark geschrumpft
Achja, wir müssen auf das Magistrat Linz, um uns abzumelden. Die Dame am Schalter macht ein etwas verdutztes Gesicht, als wir auf ihre Frage, in welcher Straße in Linz unser neues Domizil sei, antworten, dass wir auswandern Mit Ein- bzw. Zuwanderern hat sie natürlich viel öfter zu tun.

Nur noch zwei Tage bis zu unserem endgültigen Abflug

Als Nächstes beschrifte ich zahlreiche Kuverts, in die ich die entsprechenden Schlüssel gebe, andernfalls finden sich die neuen Hausbesitzer in diesem Schlüssel-Wirrwarr nicht so leicht zurecht.

Plötzlich fällt uns ein, wir müssen ja noch auf die Post, um den Nachsendeauftrag zu unterschreiben Das hätten wir beinahe übersehen. Das Postamt ist nicht weit entfernt, der Nachsendeauftrag rasch unterschrieben.

Heute ist Donnerstag, der 22. Juni 2006, die letzten 24 Stunden in Linz sind angebrochen…

Mit Herrn L. vom Airport Cargo haben wir für den frühen Nachmittag einen Termin für unser Frachtgut vereinbart. Da wir alle drei schon Übung haben, geht es diesmal rasch voran, auch der Papierkram ist schnell erledigt, da ihn Herr L. bereits vorbereitet hat. Auch heute müssen wir zwei Mal zum Airport Cargo fahren, da sich unser Frachtgepäck beim besten Willen nicht auf einmal im Auto verstauen lässt. Jetzt nützt mir der Titel „Schlichtmeister“ nichts, denn was zuviel ist, ist zuviel.

 

 

 

Etwas traurig sehe ich auf mein Wunschkennzeichen, das viele, viele Jahre lang mein Begleiter war

 

 

 

 

Am späten Nachmittag kommen die neuen Hausbesitzer. Wir übergeben ihnen den vorbereiteten DIN-A-4-Ordner mit den Anleitungen zur Biotop- und Poolpflege sowie sämtliche Kuverts mit den Schlüsseln. Anschließend springen sie in den Pool und ich bringe ihnen, kitschig wie in einem Film, einen Drink direkt an das kühlende Nass
Ehe wir uns für kurze Zeit trennen, bekommen sie noch den Hinweis, dass im Kühlschrank etwas zum Haus-Einweihen auf sie wartet: Ich habe nämlich Champagner eingekühlt

Michi und ich räumen das Übergepäck ins Auto und fahren zum Vorabend-Checkin. Auch diesmal warten wir umsonst, dass wir aufgerufen werden, weil „verdächtige“ Dinge in unserem Gepäck gefunden wurden. Die Kollegen am Münchener Airport nahmen es unserer Meinung nach viel genauer.

Später treffen wir uns mit den frisch gebackenen Hausbesitzern zum gemeinsamen Abendessen im Restaurant, in dem auch die Abschiedsfeier stattfand. Zu später Stunde gehen sie zum nicht weit entfernten Haus, während wir uns für kurze Zeit im Hotel zum Schlafen niederlegen. Die letzten wenigen Stunden in Linz sind angebrochen.

Freitag, 23. Juni 2006:

Es ist jener Tag, auf den wir uns seit langem freuen und weswegen wir die unvorstellbar vielen Arbeiten auf uns genommen haben. „auf uns“ ist nicht ganz richtig, es müsste eigentlich „auf mich“ heißen, denn die meiste Arbeit hatte ich, da Michi großteils noch arbeiten war. Trotzdem habe ich es sehr gerne getan.

Genug mit dem Resonieren. Schließlich wird trotz der sehr frühen Morgenstunde gleich das Taxi vor der Tür stehen, das uns zum Airport bringt. Kurz darauf ist es soweit. Wir steigen ein und – fahren zum letzten Mal an unserem früheren Haus vorbei.

Obwohl uns nahezu jeder prophezeit hat, dass wir spätestens zu diesem Zeitpunkt ein paar Tränen verlieren werden, ist es genau anders herum: Wir strahlen über das ganze Gesicht und können es kaum erwarten, in den Flieger zu steigen

 

 

 

 

Michi und ich tragen jene T-Shirts, die wir von unseren Nachbarn geschenkt bekamen: "Die Auswanderer Angie & Michael"

 

 

23. Juni 2006 – unser neues Leben auf Gran Canaria beginnt


Am Vormittag dieses Tages landen wir in unserer neuen Heimat Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl, aber es ist auch ein Moment, den wir seit Monaten herbei gesehnt haben. Ich vermute, das können nur all jene nachvollziehen, die solch einen Schritt ebenfalls gewagt haben oder jene, die die schwere Zeit, als Michi 2004 die Schlaganfälle und den Eingriff ins Gehirn hatte, per Email und Telefonaten miterlebt haben.

Wir sind überglücklich, nun hier – auf Gran Canaria – zu sein

Trotz allem beeilen wir uns, um an die Papiere für unser Frachtgut zu kommen, was diesmal erstaunlich rasch vor sich geht. Doch das Frachtgut selbst lassen wir jetzt mal im Lager, denn zuerst fahren wir mit unserem Übergepäck nach Hause

 

 

 

 

Zu Hause erwartet uns eine Überraschung: Auf unserem Einfahrtstor hängt ein großes weißes Tuch, auf dem steht „Angie y Michael – Bienvenidos en Rosiana 23. 06. 06" Direkt darunter steht ein Blumentopf, dessen Pflanze gerade wunderschön gelb blüht. Das kann nur S. gewesen sein

 

Rasch räumen wir das Auto aus und düsen wieder zum Airport. Ja, wenn man einmal weiß, wie das mit Frachtgut funktioniert, geht es beim zweiten Mal ruck-zuck und dann darf ich „Schlichtmeister“ mein Können beweisen. Bekommen wir wirklich alle Kartons etc. auf einmal ins Auto oder müssen wir eventuell noch ein zweites Mal fahren Zwei Herren sehen interessiert und aus sicherer Entfernung zu, wie wir die Sachen ins Auto schlichten. Ihre Blicke sagen, dass sie starke Zweifel hegen. Doch der Sieg gehört uns Wiederum fahren wir in die Berge, laden das Auto aus und ich berge aus einem Karton die mitgebrachten Linzer Torten.

Tags darauf – gut vorbereitet – stellen wir uns bei den ersten Nachbarn vor und überreichen die Linzer Torte. Umgehend werden wir mit Küsschen auf die Wange links und rechts empfangen und zum Mittagessen eingeladen
Unser ursprünglicher Plan, uns an diesem Tag bei den anderen Nachbarn vorzustellen, wird abgeändert, denn nun sind wir soooo satt und wir nehmen an, dass uns die nächsten Nachbarn ebenfalls zum Essen einladen, womit wir Recht behalten sollen, wie die nächsten Tage zeigen.
Dass wir von allen so herzlich empfangen werden, freut uns riesig, zeigt es doch, dass sie Ausländern gegenüber keine Vorurteile haben.

S. ist demnächst für 8 Wochen auf Urlaub und zuvor erledigt sie mit uns noch den dritten Schritt, der für die Tarjeta de Residencia nötig ist. Den vierten und somit letzten Schritt, nämlich die Tarjeta abzuholen, werden wir alleine unternehmen.

Ehe der Juni zu Ende geht, bestellen wir unser zukünftiges Auto: Einen Renault Kangoo 4x4, Farbe gelb Die Lieferzeit wird in der letzten August-Woche sein, bis dahin sind wir mit dem Mietauto unterwegs.

 

Wir haben unseren Traum „wir wandern aus“ verwirklicht