Ein Jahr später...

 

 

Heute ist ein für uns denkwürdiger Tag, nämlich der 23. Juni 2007. Viele von euch werden sich gewiss die Frage stellen, wie sieht es ein Jahr später aus Sind wir überhaupt noch auf Gran Canaria und falls doch, bereuen wir es, den Schritt des Auswanderns gemacht zu haben

Nun, in dem einen Jahr, wo wir jetzt hier wohnen, hat sich einiges getan:

Im Juli 2006 dürfen wir die Tarjeta de Residencia abholen und das öffnet einige Türen. Zwar haben wir vor einem Monat unser Auto bestellt, aber wir dürften es, ohne im Besitz der Tarjeta de Residencia zu sein, nicht kaufen. Zum Kauf benötigen wir die N.I.E.-Nummer, die bei der Hacienda in Las Palmas erhältlich ist. Aber das Auto ist ja ohnehin noch nicht hier.

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Anfang August 2006 beginnen wir mit der Spanisch-Schule. Ab diesem Zeitpunkt drücken wir fünf Mal die Woche von 9 bis 13, manchmal auch bis 14 Uhr, die Schulbank, vier Wochen lang. Der Nachteil für uns ist, dass wir täglich nach Las Palmas und retour fahren müssen, was eine Gesamtfahrzeit von 2,5 Stunden macht. Es ist aber kein großes Problem, da ich sehr gerne Auto fahre und Michi während dieser Zeit meist neben mir schläft


Wir sind 11 Schüler/innen in der Klasse. Michi und ich sind die Oldies, die anderen sind zwischen 19 und 28 Jahre alt.
In den ersten zwei Tagen dürfen wir englisch reden, ab dann nur mehr spanisch Und jetzt kristallisiert sich heraus, dass die anderen Schüler/innen nicht nur deutsch und englisch, sondern auch italienisch und/oder französisch sprechen. Die beiden letzten Sprachen beherrschen wir nicht und das ist ein großer Nachteil.

Nach drei Tagen wollen wir das Handtuch werfen, es scheint für uns aussichtslos, dem Lernstoff zu folgen. Wir sprechen mit unserer Professorin und sie macht uns Mut, indem sie uns sagt: "Wartet mal ab, in spätestens fünf Tagen sind die anderen nur noch am Strand oder beim Shoppen und ihr werdet immer noch hier sitzen und lernen".
Wir glauben ihr nicht wirklich, beschließen aber, die Schule weiter zu besuchen.

Das ist echt eine harte Nuss Und es gibt Hausaufgaben in Massen Michi und ich sitzen oft bis Mitternacht, um sie fertig zu bekommen, andererseits die neuen Vokabeln zu pauken. Doch wir halten durch und die Professorin hat Recht: Die Jugendlichen sind ab dem vierten/fünften Tag nur mehr sporadisch in der Schule. Das hätte ich nicht gedacht, zumal diese Schule nicht gerade billig ist. Aber klar: Den Jugendlichen wird die Schule von den Eltern bezahlt…

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Ende August bekommen wir einen Anruf vom Autohaus, unser Kangoo sei abholbereit. Wir vereinbaren einen Termin und in einer fast feierlichen Zeremonie wird uns das Auto übergeben

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Tja, und dann kommt ein Termin der besonderen Art, nämlich der erste Arztbesuch.
Durch meinen früheren Beruf habe ich es relativ einfach, eine Liste der Vorerkrankungen zusammen zu stellen. Die zweite Liste beinhaltet die derzeit eingenommenen Medikamente.

Zwischen dem Arzt und uns gibt es so gut wie keine Kommunikationsprobleme. Erst jetzt merken wir deutlich, wie viel wir in der Spanisch-Schule gelernt haben

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Am 25. Oktober bekommt unsere Katze drei junge Kätzchen. Als Geburtsort hat sie den großen, gemauerten Gartengrill, der von uns nicht benützt wird, gewählt. Jedes Mal, wenn wir uns aus Neugierde dem Grill nähern, werden wir von der Katzenmutter angefaucht. Klar, sie will ihre Junge beschützen.

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Ach, wenn nur diese lästigen Kakerlaken nicht wären Mit ihnen können wir uns nicht anfreunden und haben nun endlich Zeit, der Ursache auf den Grund zu gehen.
Relativ schnell ist das Übel gefunden: In der Außenwand befindet sich das Abflussrohr unseres Küchenwaschbeckens – und diese Wand hat seit langem an dieser Stelle einen feuchten Fleck, obwohl es seit Monaten keinen Tropfen geregnet hat. Michi ist nicht ganz einverstanden, dass ich zum Werkzeug greife und beginne, die Mauer aufzustemmen. Ganz, ganz vorsichtig taste ich mich vor und dann sehen wir ihn: Einen Wasserrohrbruch, wie er in keinem Buch schöner dargestellt sein könnte. Dass mich unzählige Kakerlaken bei dieser Aktivität überfallen, erwähne ich nur am Rande

Michi repariert das Abflussrohr und jetzt sollte Schluss mit lustig sein – Und ist es auch

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Nach und nach sehen wir, wie die Straßen auf Gran Canaria sowie auch die Häuser in unserer Straße weihnachtlich geschmückt werden. Es werden Lichterketten, blinkend oder nicht blinkend, aufgehängt und vieles mehr.
Höchste Zeit, dass wir uns auch solch einen festlichen Schmuck zulegen. Das erweist sich als sehr einfach, da Lichterketten und ähnliches nahezu überall angeboten werden. Im Nu ist auch unser Haus schön geschmückt und die Nachbarn staunen, dass auch uns so etwas gefällt

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Anfang Dezember beginnt die große „Fiesta de Santa Lucía“, die nicht nur an einem, sondern an mehreren Tagen stattfindet. Die ersten Tage nehmen wir teilweise noch daran teil, dann wird Michi krank: Ein schwerer grippaler Infekt ist das Übel

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Glücklicher Weise ist der Infekt nach einer Woche vorbei und wir freuen uns auf den 24. Dezember, da wir bei der Familie des Vermieters eingeladen sind
Hier kommt an diesem Abend jedoch nicht das Christkind, sondern der Weihnachtsmann, „papa noel“ genannt. In einem Sack hat er für die Kinder ein paar Kleinigkeiten, die er verteilt. Anschließend geht es zu den kulinarischen Genüssen über. Wir sind sehr erfreut, wie wir in die Familie des Vermieters integriert werden, gerade so, als gehören wir seit jeher dazu

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In den folgenden Monaten Januar, Februar, März und teilweise April 2007 bin ich – allerdings nur nachts, da ich untertags wegen Renovierungsarbeiten keine Zeit habe – ständig am Texten für meine Homepage. Ja, Silke und Markus haben schon längst erkannt, dass bei uns der Alltag eingekehrt ist und seither sind sie vehement dahinter, dass bei meiner Homepage etwas vorwärts geht Und ich dachte, meine Homepage sei in Vergessenheit geraten – vonwegen

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Im März bekommt unsere Katze wieder Junge, fünf Stück an der Zahl! Diesmal bringt sie die Kleinen wieder im Steinhaufen auf die Welt.
Und damit geht das große Zittern und Bangen los, denn Bine ist ohne ärztliche Hilfe dem Tode geweiht. Ehe wir handeln können, verschwindet sie spurlos...

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Ein besonderer Countdown beginnt, nur noch 10 Tage…

… und dann ist es soweit: Ich gebe im usa-reise.de-Forum meine Homepage offiziell bekannt Der genaue Termin ist natürlich mit Silke und Markus abgesprochen und pünktlich sitzen wir drei vor dem Rechner Halt, stimmt nicht, wir sitzen zu viert vor den PCs, denn Michi verfolgt das nun auch mit.

In diesem Moment wurde einer meiner Träume wahr – der Traum zur eigenen Homepage

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Und wir haben noch etwas sehr schönes in Aussicht – einen 8-wöchigen Urlaub auf Hawai’i Die Flüge sind längst gebucht, auch die Interisland-Flüge, die Hotels und die Mietautos.

Doch urplötzlich, sozusagen von einer Sekunde auf die andere, tritt dieser Urlaub nicht nur in den Hintergrund, sondern er wird sogar völlig nebensächlich

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Der Grund ist der Großbrand auf Gran Canaria. Das Feuer wird absichtlich gelegt und betrifft uns vorerst nicht. Wir fühlen uns sicher, da es im Barranco de Fataga, der westlich von uns liegt, brennt und das ist ja soooo weit weg. Schlimm sind allerdings die Berichte in den Medien. Demnach soll schon ein großer Teil des Parque Nacional verbrannt sein.
Weiters wird gemeldet, dass der Großbrand unter Kontrolle sei, die Lage scheint sich also zu beruhigen.

So denken viele und auch wir...

Am Montag, 30. Juli 2007, sieht Michi, der gerade auf der Dachterrasse ist, wie sich die Situation schlagartig ändert. Ein kleines Stück nördlich des Degollada de Rosiana steigt eine große Rauchschwade auf.

 

 

Für mich bedeutet dieser Anblick nur eines: Unsere nötigsten Sachen zusammen packen, damit wir sie im Notfall nur mehr ins Auto verfrachten müssen, um zu fliehen. Zwischendurch eilen wir immer wieder hinaus, um zu sehen, ob und wie rasch sich das Feuer auf unserer Seite ausbreitet. Ununterbrochen sind Löschhubschrauber im Einsatz, aber nicht nur deren Lärm, sondern auch die Sirenen von Feuerwehr-, Rettungs- sowie Polizeifahrzeugen lassen den Ernst der Situation erkennen.

 

Von den Medien wissen wir, dass es bereits etliche Orte gibt, die auf Grund des Feuers weder Strom noch Wasser haben. Dies nehmen wir zum Anlass und fahren kurz einkaufen. Mit zahlreichen 5-l-Kanistern Wasser und allen möglichen Konserven kehren wir wieder zurück. Ich befülle meine beiden Brotbackmaschinen und koche ein paar Kilo Kartoffel, ganz nach dem Motto „im Vorrat ist gut hausen“.

Die Bewohner der Orte San Bartolomé de Tirajana, Taidía und Risco Blanco wurden bereits aufgefordert, sich auf die Evakuierung einzustellen und ihre nötigsten Sachen zu packen. Taidía ist weniger als einen Katzensprung von uns entfernt...


Eines steht für mich fest: Sollten wir in den nächsten Stunden weder evakuiert werden noch freiwillig flüchten, verbringen wir die kommende Nacht, eventuell abwechselnd, auf der Dachterrasse, um das Geschehen weiter verfolgen und bei Bedarf entsprechend handeln zu können.

Einige Stunden vergehen, das Feuer breitet sich immer weiter aus. Mit eigenen Augen beobachten wir, wie es immer näher zu uns kommt.

 

 

Machtlos wie alle anderen müssen wir zusehen, wie die Flammen Pinie für Pinie vereinnahmen und schließlich zum Umstürzen bringen. Punkt 21 Uhr endet der Dienst der Löschhubschrauber - für uns und viele andere völlig unverständlich, da es noch bis 22 Uhr taghell ist.

Die lange Nacht bricht heran. Wir sitzen auf der Dachterrasse und beobachten weiterhin das Flammenmeer, das uns gegenüber wütet. Wie wird es weiter gehen

Zu allem Übel herrscht gerade jetzt noch Calima und es stürmt gewaltig. Hohe Temperaturen und Sturm – das ist genau das, was eine Feuerbrunst braucht
Um 2 Uhr nachts setzen wir eine für uns persönliche Grenze, wie nahe das Feuer kommen darf, damit wir freiwillig flüchten. Michi weiß, dass er sich auf mich verlassen kann und geht nun auf meine Bitte hin ins Bett. Ob wir nun zu zweit oder nur ich dem Feuer zusehe, was es anrichtet, spielt keine Rolle, denn wir haben keinen Einfluss darauf.

Nun hocke ich alleine hier und starre wie gebannt auf das Flammenmeer. Spontan fällt mir der Titel eines Filmes, den ich aber nie gesehen habe, ein: „Berge in Flammen“. Treffender könnte ich das, was sich vor meinen Augen abspielt, nicht beschreiben.

 

 

Es herrscht im Großen und Ganzen Ruhe, keine Sirenen von irgendwelchen Einsatzfahrzeugen sind zu hören und bis auf vier Feuerwehrautos, die gemütlich in Richtung Süden fahren, ist auch auf der Straße nichts los.

Plötzlich, um 4 Uhr morgens, schlängelt sich eine Lichterkette auf der mir gegenüber befindlichen Straße entlang. Ich spüre, wie mein Adrenalinspiegel steigt und bin mir sicher, dass ich die unendlich vielen Autos, die auf der GC 65 Richtung Süden fahren, richtig interpretiere. Für mich bedeutet dies, dass San Bartolomé evakuiert wird. Etwas später erfahre ich, dass es tatsächlich so ist. San Bartolomé ist ca. 10 Fahrminuten von uns entfernt… Obwohl es jetzt, mitten in der Nacht, 36° C hat und mir allein deswegen warm genug ist, wird mir nun noch heißer.

Ich überlege hin und her – soll ich Michi wecken Sollen wir nicht auch lieber fahren Andererseits hat das Feuer unsere gesetzte Grenze noch nicht erreicht, geschweige denn überschritten und daher beschließe ich, Michi weiter schlafen zu lassen.
Nach geraumer Zeit ist die Autoschlange zu Ende, es fährt kein weiteres Auto mehr in Richtung Süden. Ob es in San Bartolomé Leute gibt, die sich gegen die Evakuierung gewehrt haben Das wäre durchaus denkbar.

Die Feuerbrunst zieht langsam, aber beständig, nach Süden und schon bald ist vom Degollada de Manzanilla nichts mehr zu sehen.

 

 

Ich atme ein wenig auf, denn zumindest für uns scheint die größte Gefahr gebannt zu sein. Dass dem nicht so ist, zeigt sich kurze Zeit später. Das Feuer dreht sich und wandert wieder nach Norden, dorthin, wo es zuvor schon stundenlang gebrannt hat. Was um alles in der Welt ist denn für die Flammen noch zu holen

 

 

Nach geraumer Zeit macht das Flammenmeer wieder kehrt, um nochmals Richtung Süden zu ziehen. Für uns beruhigend, für andere leider beängstigend.

Kurz nach 8 Uhr morgens steht Michi auf und löst mich bei der Wache ab, wie ein Stein falle ich ins Bett. Mittags wache ich auf und stelle erleichtert fest, dass es auf unserer Seite nur mehr wenige und vor allem kleine Brandherde gibt.
Am späten Nachmittag wagen wir ein leichtes Aufatmen, denken aber über unsere nächste „Nachtschicht“ nach.

Gegen 19.30 Uhr werden unsere Pläne von einer Sekunde auf die andere über den Haufen geworfen, denn Michi entdeckt von der Dachterrasse aus – nur ca. 200 m von unserem Haus entfernt – eine große Rauchsäule


Keiner der Nachbarn ist zu sehen, sie scheinen sich im Hausinneren zu befinden. Also klingeln wir an, um sie auf die Gefahr aufmerksam zu machen.
Gemeinsam mit den Nachbarn gehen wir nun zum neuen Brandherd, der sich direkt im Barranco unterhalb befindet. Schon kommt ein Löschhubschrauber nach dem anderen, Feuerwehrautos sowie die Guardia Civíl treffen ein.

Michi und ich sehen kurze Zeit bei den Löscharbeiten zu. Mittlerweile ist es 20 Uhr, um 21 Uhr endet wieder der Dienst der Löschhubschrauber… Wenn es den Leuten bis dahin nicht gelingt, das Feuer zu löschen, haben wir schlechte Karten, denn dann zieht das Feuer dieses Nebenbarrancos Richtung Osten und versperrt uns somit den einzig möglichen Fluchtweg nach Süden.

Nein, jetzt reicht es Wir selbst haben überhaupt keine Möglichkeit, unser Haus vor den Flammen zu schützen. Das, was wir schützen können, ist unser Leben.
Wir laufen zum Haus zurück, schlichten in Windeseile unsere gepackten Sachen ins Auto und fahren zu einem Hotel in Vecindario. Dort treffen wir auf zahlreiche Evakuierte von San Bartolomé.
Beim Einchecken bekommen wir den „Feuerpreis“, also einen Preisnachlass. Kostenlos ist die Übernachtung nur für jene, die evakuiert wurden.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf fahren wir in den frühen Morgenstunden wieder nach Hause. Gibt es „nach Hause“ noch Was ist verbrannt, was existiert noch
Zahlreiche Feuerwehrautos kommen uns entgegen. Im Inneren sind Michi und ich zwiegespalten: Einerseits sind wir ganz schön nervös, andererseits voller Hoffnung.

Je näher wir Santa Lucía kommen und unversehrte Häuser sehen, umso zuversichtlicher werden wir.

Und dann dürfen wir endlich aufatmen Sämtliche Häuser in diesem Gebiet sind unversehrt

Puhhhhhh… Anscheinend haben sämtliche Schutzengel ihre Hände über die Gemeine Santa Lucía gelegt
… und im Handumdrehen muss ich an all jene denken, deren Häuser nicht gerettet werden konnten

An das Auspacken unserer Dinge denken wir jedoch noch nicht, der Schreck sitzt uns viel zu tief in den Knochen. Die Löschhelikopter sind wieder im Barranco de Fataga im Einsatz, aber ihre Tätigkeit lässt im Laufe des Tages nach. Am nächsten Tag finden nur mehr Kontrollflüge statt.

Eine Woche später packen wir unsere Habseligkeiten aus und erst jetzt setzt wieder die große Vorfreude auf den kommenden Hawai’i-Urlaub ein. Was wir in diesem Urlaub erlebt haben, könnt ihr in meinem Reisetagebuch Hawai’i 2007 lesen.

 

Um auf die Ausgangsfrage, ob wir den Schritt des Auswanderns eventuell bereut haben zu antworten:

 

NEIN - FÜR UNS WAR ES DIE RICHTIGE ENTSCHEIDUNG