Freitag, 7. 9. 2007:
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Es ist 3.30 Uhr und ich bin putzmunter.
Verzweiflung macht sich breit, denn der Wecker läutet
erst in 3,5 Stunden. Was tun bis dahin?
Alles Mögliche fällt mir ein und irgendwann
übermannt mich vor lauter Überlegungen
wieder der Schlaf.
Genau zu dem Zeitpunkt, an dem es mir überhaupt
nicht passt, nämlich um 6.30 Uhr, läutet
der Wecker. Ist ja typisch
Michi fühlt sich wieder pudelwohl, der Tag
fängt ja nicht übel an.
Wie schon die Tage zuvor gehen wir auch heute zu
Perry’s frühstücken. Anschließend
kaufen wir im abc-Store destilliertes Wasser. Das
braucht Michi für sein C-Flex
Gerät, mit dem er seit seinem Schlaganfall
im Juli 2004 schlafen muss.
Und nun auf - der Ka'ena
Point Trail Mokule'ia side steht schließlich
am Programm.
Um 9.15 Uhr fahren wir vom Hotel über Wahiawa
nach Haleiwa. Hier legen wir einen kleinen Stopp
ein. Michi genehmigt sich einen Kaffee, ich mir
Wasser. Dann geht’s weiter zum Parkplatz des
Kaena Point Trailhead, den wir um 10.25 Uhr erreichen.
Oh Mann, ist das um diese Uhrzeit schon heiß
33.1° C zeigt meine Uhr an, das kann heiter
werden.
Um 10.30 starten wir, voll bepackt, was man für
eine Wanderung braucht oder nicht braucht, in Richtung
Kaena Point.
Allerdings legen wir mehrere Pausen ein, einerseits
um zu filmen, zu fotografieren, aber auch zu unserer
Erholung. Aus unerfindlichen Gründen nimmt
mich heute die Hitze besonders mit. Mein Herz rast,
die Knie sind wie Wackelpudding – ideal, um
es mit einem Wort auszudrücken 
Ab und zu fährt ein Allrad bei uns vorbei.
Ein Wunder, dass es diese Autos heute nicht zerlegt,
denn die Piste ist in einem denkbar schlechten Zustand,
weist extrem tiefe Fahrrillen auf und in denen steht
das Wasser, wahrscheinlich vom Regen von vorgestern.
Aus den ehemaligen Bestandteilen diverser Autos,
die überall auf der Piste herum liegen, könnten
wir uns langsam an den Bau eines neuen Autos machen.
Vom Auspuff über Scheibenbremsen, Lenkrad,
Lichtmaschine, Blech eines vermutlich vorderen Kotflügels
ist alles zu haben.
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Wir stellen auch fest,
dass es vor kurzem hier gebrannt haben muss. Einerseits
ist linkerhand des Trails alles schwarz und andererseits
sind die Bäume und Büsche, die auf den
Waiana'e Mountains wachsen, braun. Diese Farbgebung
kennen wir bestens, da wir sie auf Gran Canaria
direkt vor Augen hatten, wo Ende Juli / Anfang August,
also vor wenigen Wochen, ein Großbrand des
Nationalparks vernichtet hat. |
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Endlich, um 11.40 Uhr, kommen wir zum Gate,
das nur für Hiker passierbar ist, Autos
müssen hier umdrehen. |
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Das Gate ist
auch für Radfahrer passierbar, wie uns
ein junger Mann mit seinem Rennrad (  )
zeigt. Vorhin, als wir uns umdrehten, weil
wir ein schnaufendes Geräusch hörten,
sahen wir den Rennfahrer raschen Schrittes
auf uns zu kommen, in der rechten Hand sein
Rennrad schiebend. Welcher Teufel ihn reitet
– keine Ahnung, jedenfalls bindet er
das Rad nach dem Gate an eine Info-Tafel.
Ehe wir durch das Gate schlüpfen,
kommt noch ein Auto, dessen Fahrer uns fragt,
ob wir denn zu den Seelöwen gehen würden.
Na klar, wohin denn sonst
Albatrosse würden wir um diese Jahreszeit
am Kaena Point wohl kaum antreffen, aber
wer weiß 
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Von jetzt weg sind es nur noch 15 Min.
bis zum Ziel. Ich habe für den Moment
nur ein einziges Ziel: „Unsere“
Höhle, in der ich Schatten finden
kann. Michi ist in dieser Zeit mit filmen
und fotografieren beschäftigt. |
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Vom Kaena Point sieht man sowohl die West-
als auch die Nordostküste O'ahu's. |
Nun hocke ich in der Höhle,
versuche, mich zu erholen. Meine Blicke schweifen
über den Pazifik. Plötzlich sehe
ich etwas, das unter Garantie kein Lavastein
ist. Ein Seelöwe
Richtig
Aber er rührt sich überhaupt nicht,
ok, vielleicht schläft er nur. Lange
Zeit beobachte ich ihn, bis schließlich
zwei Angler kommen, denen ich die Frage stelle,
was denn mit dem Seelöwen los sei. Die
Antwort lautet kurz und knapp „it’s
dead“.
Ohje 
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Michi kommt und ich nehme mir
die Tele aus seinem Rucksack, um den Seelöwen
heran zoomen zu können. Tatsächlich.
Er bewegt sich kein bisschen, vorhin hatte ich
noch die Hoffnung, dass ich kleine Bewegungen
mit dem Auge nur nicht erkennen kann. Wiederum
vergeht eine lange Zeit des Beobachtens, ständig
gucke ich durch die Tele.
Plötzlich meine ich zu sehen, dass das
Tier atmet
Die zwei Männer sagten doch, es sei tot
und ich hatte den Eindruck, das wüssten
sie schon länger.
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Mir lässt die vermeintliche
Atmung des Seelöwen keine Ruhe. Über
Lavasteine in jeder Größe steige
ich zum Meer hinunter, soweit es geht.
Viele Meter von mir entfernt stehen andere
Hiker, sie rufen immer nur „it’s
dead, it’s dead“.
Nein, noch mal
Der Seelöwe lebt
Und in Gedanken wünsche ich mir, sie
würden beim Anpacken helfen, um das Tier
wieder ins Wasser zu bekommen. Doch mein Wunsch
wird nicht erfüllt. Die Hiker stehen
nur da und tun nichts, absolut nichts.
Mir wird es zu dumm, ich ziehe meine Wanderschuhe
und die Socken aus und steige ins Meer. Allerdings
komme ich nur ganz langsam voran, da die Lavasteine,
auf denen ich gehe, erstens sehr spitz und
zweitens sehr rutschig sind. Aalglatt, könnte
man sagen.
Nach ein paar Minuten erreiche ich den Seelöwen,
er trägt auf seiner Schwanzflosse die
Nummer „440“. Ich stupse ihn an,
er rührt sich nicht, ich stupse nochmals,
auch keine Reaktion. So, nun ist guter Rat
teuer. Mein Untergrund ist glatt, ich kann
mich praktisch nirgendwo anhalten und möchte
aber andererseits ein ca. 40 kg schweres Tier
ins Wasser ziehen. Langes Nachdenken hilft
nichts, daher packe ich den Seelöwen
an einer Schwanzflosse und will ihn ziehen.
Das wiederum weckt seine Lebensgeister in
ihm. Mit einem Ruck dreht er sich zu mir herum
und mit einem schwups ist er im Wasser, um
auf mich zuzukommen. Auf die Sekunde ergreife
ich die Flucht, ich weiß nicht, was
das Tierchen mit mir vor hat. Wie beinahe
zu erwarten ist, rutsche ich aus und schürfe
mir mein linkes Schienbein ganz schön
auf. Es blutet heftig und das Salzwasser tut
sein übriges, damit ich auch etwas von
den Wunden spüre.
Endlich erreiche ich wieder meine Schuhe und
ziehe sie an, der Seelöwe hinter mir
im Wasser faucht mich an. Was er mir damit
sagen will – keine Ahnung.
Nachdem ich wieder bei unserer Höhle
bin, erfahre ich von Michi, dass er den ganzen
Vorgang gefilmt hat. Na klasse 
Ich hole den Fotoapparat hervor, schließlich
muss ich das Tierchen auch noch aufs Bild
bringen. Doch was sehen wir
Von der rechten Seite kommt ein immens großer
Seelöwe vom Meer herein, schwimmt direkt,
einige Male über Lavasteine robbend,
zu dem „Kleinen“, stupst ihn an,
so, als wolle er ihm sagen „komm schon,
du gehörst ins Wasser“. Doch der
Kleine gehorcht nicht. Mehrmalige Versuche
vom Großen schlagen fehl.

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Plötzlich fällt Michi
ein, dass er seine Hüfttasche, in der sich
praktisch alles befindet, im Auto auf der Mittelkonsole
vergessen hat
Mir wird ganz anders: Ein Jeep und dann die
Hüfttasche im Auto… Wenn das nur
gut geht...
Es ist nun 14.10 Uhr und wir machen uns auf
den Rückweg. Es ist enorm heiß
(logisch: „kaena“ heißt
auch „heiß“), ich fühle
mich insgesamt nicht wohl. Meine Knie sind
wieder wie Wackelpudding, mein Herz rast und
außerdem habe ich vermutlich mindestens
eine Blase pro Zehe, ich kann kaum noch gehen.
Der Rückweg zieht sich, zumindest meinem
Gefühl nach. Über den Waiana'e Mountains
sind ein paar Wolken zu sehen, aber es ist
trocken.

Um 16 Uhr sind wir beim Auto, Michis Hüfttasche
liegt unberührt auf der Mittelkonsole
- Glück gehabt 
Wir wundern uns ein wenig über die vielen
Autos, die sich plötzlich vor uns am
Parkplatz in erster Reihe mit direkter Sicht
auf das Meer stellen. Meinen die Leute vielleicht,
sie seien jetzt am Kaena Point
Vielleicht, aber dann wissen sie nicht, wo
sich der Kaena Point wirklich befindet…
Auf der Rückfahrt nach Honolulu fällt
mir ein, wir könnten uns eigentlich heute
schon die Zufahrt für den morgigen Trail
ansehen bzw. versuchen, die entsprechende
Piste zu finden, dann vergeuden wir morgen
nicht unnötig Zeit dafür.
Im Gedächtnis habe ich den Plan abgespeichert
und weiß daher – naja, zumindest
ziemlich genau – wo die Piste weg geht.
Wir biegen also vor Wahiawa links ein und
kurz vor dem Militärhäuschen, das
allerdings unbesetzt ist, sehe ich rechterhand
ein Schild „Poamoho Trail“, davor
ein Gate – das passt alles ganz genau
Ich gehe noch mal zum Auto zurück, um
den Fotoapparat zu holen und knipse ein paar
Mal. Plötzlich kommt von der anderen
Seite des Gates ein rotes Auto – kein
Allrad – der Lenker steigt aus und ich
falle fast in Ohnmacht.
Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift
„Na Ala Hele“. Das gibt’s
doch nicht
Treffen wir hier doch glatt Aaron wieder 
Aaron fragt, ob er uns bei irgend etwas behilflich
sein könne. Hmmm, eigentlich nicht, denn
wir wissen ja nun genau, welches Ziel wir
morgen ohne Zeitverlust aufsuchen müssen.
Er erzählt uns, unter welchen Umständen
der Trail wieder hergestellt worden konnte:
Weshalb die Poamoho Access Rd. lange Zeit
nicht einmal mit Permit befahren werden durfte,
hatte einen Haken. Na
Ala Hele brauchte die Zustimmung der Dole
Company, da die Poamoho Access Rd. auf
ihrem Grundstück verläuft. Unmittelbar
an Dole befindet sich militärisches Gelände.
Nach längeren Verhandlungen erklärte
sich Dole bereit, die Zustimmung zu geben.
Voraussetzung sei allerdings, dass entlang
des Tracks ein Zaun und von Beginn des Tracks
bis zum Trailhead drei Gates errichtet werden.
Auch müsse dafür gesorgt werden,
dass der Track regelmäßig kontrolliert
und die Ziffern der Zahlenschlösser laufend
geändert werden. Letzteres ist auch der
Grund, weshalb man erst bei Permit-Ausstellung
die Gate-Nummern erfährt.
Es wurden einige Gefangene zur Arbeit herangezogen,
die 10 Stunden pro Tag in der brütenden
Hitze schufteten. Doch das war ihnen allemal
lieber, als im Gefängnis zu sitzen. Probleme
mit den Gefangenen gab es überhaupt keine.
Schließlich schilderte Aaron uns noch
ein wenig den Track- und Trailverlauf. Die
ersten drei Meilen des Trails seien sehr gemütlich,
der Weg ca. ½ m breit, die letzte ½
Meile ist dzt. noch nicht freigelegt. Hier
sei der Trail sehr schwer zu erkennen und
ungefähr 10 cm breit, links und rechts
von einem sei Buschwerk, durch das man sich
mehr oder weniger schlagen muss. Von Machete
sagt er allerdings nichts 
Wir unterhalten uns auch über andere
Trails auf Hawai’i, kommen u. a. auf
den Alaka’i Swamp Trail zu sprechen.
Und jetzt wissen wir endlich, wer bei der
Erstellung der Holzbohlen mitgewirkt hat:
Aaron. Er erzählt, dass das Material
für den Alaka’i Swamp Trail per
Helikopter geliefert wurde. Die Männer,
die mit der Montage beschäftigt waren,
standen oftmals bis zur Brust in Wasser und
Schlamm, was sehr kalt war. Aaron sagt, es
war kein Vergnügen, aber es war nötig,
die Holzbohlen zu verlegen.
Zum Schluss erwähnen wir noch, dass
wir für Montag ein Permit für die
Satellite Tracking Station Access Rd. haben.
Jetzt fällt er fast in Ohnmacht, dass
sich Leute aus Europa so viel Mühe machen,
nur um Trails auf Hawai’i zu laufen.
Er sagt aber auch, es freue ihn sehr und nun
weiß er, dass sich die Arbeit von Na
Ala Hele lohnt.
Nach langer Zeit des Plauderns verabschieden
wir uns, bekommen aber noch den Tipp, dass
heute, wie jeden ersten Freitag im Monat,
in Downtown Honolulu sämtliche Gallerien
geöffnet sind. Ganz Honolulu befinde
sich dann in Downtown, vor allem auch deswegen,
weil Getränke und sehr oft auch kleine
Speisen kostenlos sind.
Wir bedanken uns und fahren Richtung Honolulu,
allerdings zum Hotel, nicht nach Downtown.
Michi und ich sind hundemüde, haben
beide starke Kopfschmerzen. Ich richte ihm
Toast mit Wurst und Käse, selbst esse
ich so gut wie nichts, ich habe nicht nur
keinen Hunger, sondern eine Aversion gegen
Essen, was ich im Normalfall überhaupt
nicht kenne.
Eine Zeit lang quäle ich mich noch mit
dem Schreiben des Reiseberichtes, während
sich die diversen Akkus laden, aber um 22.30
Uhr schmeißen wir das Handtuch und gehen
ins Bett.
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