Tag 0: Dunkle WolkenAn meinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub ist es Mittag geworden. Das private Handy klingelt. Uta teilt mir mit, dass sie uns gerade online eingecheckt hat. Bei ihr ist alles glatt durchgelaufen, bei mir eigentlich auch. Es gibt da nur so eine diffuse Meldung wegen ESTA, weswegen mir noch keine Bordkarte ausgestellt wurde. Wahrscheinlich wurde ich für eine spezielle Sicherheitsüberprüfung ausgelost.
An der ESTA-Genehmigung kann es jedenfalls nicht liegen. Da ich weiß, dass das kritisch ist, habe ich deren Ablaufdatum im Vorfeld 2-3 mal kontrolliert. Es liegt im April 2024. Meine Frau prüft das ein weiteres Mal, alles gut.
Zu Hause angekommen beladen wir das Auto und zählen gemeinsam die letzten Sekunden des Count-Down hinunter: „3-2-1-Start Engine“!
Wie lange haben wir auf diesen Moment gewartet?
In Gedanken entschweben wir nach Hawaii. In der Realität starten wir nur den Motor unseres Autos, mit dem wir gleich nach Frankfurt fahren wollen.
Nun soll unser Traum endlich wahr werden.
Die Strecke nach Frankfurt zieht sich. Es ist viel los um Köln und auf der A3. Jede halbe Stunde hören wir gespannt die Nachrichten. Eine bekannte Dienstleistungsgewerkschaft („wer die“ sind, soll hier unerwähnt bleiben) hat in den vergangenen Tagen an verschiedenen Flughäfen das Sicherheitspersonal zum Streik aufgerufen. Frankfurt war in der aktuellen Welle noch nicht dabei. Grundsätzlich haben wir ja Verständnis für berechtigte Arbeitskampfmaßnahmen, aber das hat auch seine Grenzen. Eine davon wäre morgen früh 6.00 Uhr erreicht …
Wir erreichen den Flughafen deutlich später als erwartet, aber das ist nebensächlich. Heute wollen wir nur beim Vorabend-Check-In unser Gepäck aufgeben und dann in einem nahegelegenen Flughafenhotel übernachten. Die letzten Nachrichten sind durch und das Wichtigste ist: Morgen streiken zwar irgendwelche Eisenbahner, aber nicht das Sicherheitspersonal am Flughafen Frankfurt!
Einen einfachen Baggage-Drop können wir nicht machen, weil ich ja noch keine Bordkarte habe. Also gehen wir zu einem Schalter. Wir reichen unsere Unterlagen und Pässe herüber. Der Mann am Schalter stellt fest, dass wir bereits Sitzplätze reserviert haben und tippt wie üblich allerlei Sachen ein.
Irgendwann wird er zögerlich, zieht meinen Pass ein zweites Mal durch den Schlitz und ein drittes Mal.
...
Sein Gesicht verfinstert sich, dunkle Wolken ziehen auf.
„Ja, bei Ihrer Frau ist alles in Ordnung, aber für Sie bekomme ich keine ESTA-Freigabe. Haben Sie denn Ihre ESTA-Genehmigung dabei?“
„Na klar und die ist noch ein Jahr gültig!“
Er prüft die Unterlagen und ist ratlos. Dann wendet er sich an seine Kollegin neben ihm.
„Zeig mal …
… ja, wenn DIE Fehlermeldung kommt, ist die ESTA-Genehmigung definitiv ungültig. Vielleicht ein Zahlendreher in der Passnummer oder so? Vergleich mal!“
(Lady, du machst mir Mut.)
Das tut er und kommt recht schnell zu dem Ergebnis: Ein Zahlendreher liegt nicht vor, die Passnummer ist vollkommen anders!!!

Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen:
Das ESTA hatte ich für die letztjährige Reise beantragt. In der Zwischenzeit war mein Pass abgelaufen und ich hatte einen neuen beantragt, ohne damals die Auswirkungen auf ESTA zu überblicken.
„Nun gut, ich habe einen Fehler gemacht, wie geht es weiter?“, frage ich den Schaltermenschen.
„Ohne ESTA keine Einreise. Ohne Einreise kein Flug. Punkt. So sind die Spielregeln.“
„Ja, was kann man denn da jetzt machen? Gibt es am Flughafen keinen Representative der Homeland Security, der die Sache für mich in Ordnung bringen kann?
Oder ein Express-Not-ESTA?“
„Nein.“
„… und was kann ich da jetzt machen?“
„ESTA neu beantragen, … und zwar schnell.“
„Ja, wie lange dauert das denn? Es ist jetzt 19.00 Uhr. Der Flug geht morgen 10.30 Uhr. Das sind rund 15 h.“
„ESTA garantiert 72 h, zumeist dauert es 24 h, aber es geht auch schon mal schneller. Soll ich vielleicht schon mal die Kollegin vom Umbuchungsschalter anrufen?“
„N E I N!!! An dem Flug hängt noch so viel Urlaub dran.“ (Ich breite die Arme aus.)
Mir wird ganz anders …
Äußerlich bin ich (wohl) ruhig, aber innerlich könnte ich laut schreiend im Dreieck springen und fortwährend das Sch-Wort von mir geben.
Wir suchen uns einen Sitzplatz und ich fülle im Trubel des Flughafens auf dem Handy einen neuen ESTA-Antrag aus. Das ist ziemlich unlustig. Erst klappt das Foto des Reisepasses ewig nicht wegen der Reflexionen, dann stört das kleine Format des Handys und zuletzt mischt sich noch eine überschlaue Übersetzungshilfe ein, die z.B. „Tag“ noch einmal übersetzt und meinen Geburtstag im Format „Schild.Monat.Jahr“ verlangt. Stück für Stück arbeite ich mich durch die 7 Kapitel des Antrages.
Trotz der Konzentration geistert nebenher ein Gedanke durch meinen Kopf: Wenn mich jetzt jemand „von links“ anspricht und nach irgendeiner Nebensächlichkeit fragt, wäre meine Art der Antwort wohl derart, dass er spontan einen Schritt zurückweichen würde. So angespannt bin ich.
Irgendwann ist es dann geschafft und im Parkhaus stellen wir fest, dass das Ganze über alles ca. anderthalb Stunden gedauert hat.
Im Hotel angekommen sollen wir zwei Formulare ausfüllen: wann wir morgen zum Flughafen gebracht werden wollen (klar, so früh wie möglich) und wann wir dereinst wieder abgeholt werden wollen. Ja, das wissen wir selbst noch nicht, eigentlich irgendwann in drei Wochen, aber vielleicht schon morgen um 11.00 Uhr?
Wir gehen ins Restaurant. Das Essen und der Wein sind ganz gut, genießen können wir beides indes nicht. Unsere Gedanken kreisen um unseren Urlaub und was werden wird. Was müssen wir gegebenenfalls stornieren/verschieben/umplanen? Macht es eventuell Sinn, dass Uta zunächst allein fliegt und ich dann nachkomme? (nein!)
Vorwürfe machen wir uns nicht, da jeder weiß, dass der andere seinen Teil nicht leichtfertig vertrottelt hat. Ärgern tun wir uns natürlich schon. Für eine Sekunde denken wir auch darüber nach, uns an der Bar Betäubungsmittel für unseren Schmerz zu besorgen, aber erstens ist das nie eine gute Idee und zweitens müssen wir morgen früh klar im Kopf sein, weil dann wahrscheinlich Entscheidungen von einiger Tragweite getroffen werden müssen.
Was wird wohl werden? Unsere Stimmung hat einen Tiefpunkt erreicht. Wir haben beide zwar noch Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet, aber da ist eine gehörige Portion Zweckoptimismus dabei. Das einzig Positive, was wir entdecken können, ist unser Vorabend-Check-In. Ohne den wäre der Urlaub jetzt schon vorbei.
Wir sind uns einig:
Für den Moment können wir nichts weiter tun. Ab jetzt sind wir in Gottes Hand.
Inzwischen ist es nach 22.00 Uhr geworden und wir gehen auf unser Zimmer. Ob wir wirklich schlafen können, ist ungewiss. Während Uta im Bad ist, bereite ich schon einmal das Tablet für die Statusabfrage bei ESTA vor, damit es morgen früh schneller geht. Ich gebe auch gleich alle Daten ein, dann brauche ich für jede Abfrage nur noch zu aktualisieren.
Schnell noch einmal alle Daten vergleichen, … passt …, aber was steht denn da?
„Genehmigung erteilt“, nach 3 Stunden, unglaublich, Weltrekord, ein Hoch auf die fleißigen Beamten!

Wir liegen uns in den Armen.
Tränen der Erleichterung fließen.
Jetzt wird alles gut!
Tipps für Planer:ESTA ist nicht an die Person gekoppelt, sondern an den Reisepass. Es ist quasi wie ein Visum, das in den Pass gestempelt wird. Ist der Pass weg, gibt es auch kein ESTA mehr.
Wenn im Vorfeld des Fluges irgendeine Fehlermeldung auftaucht, in der „ESTA“ vorkommt, dann Großalarm auslösen, alles stehen und liegen lassen und die Sache final abklären, direkt – unverzüglich – sofort! Ab diesem Zeitpunkt läuft die Uhr gegen euch und jede Stunde zählt.
Macht den Online-Check-In so früh wie möglich. Das gibt euch die Sicherheit, dass alles passt oder im anderen Fall Zeit zu reagieren.
Falls jemand an zu niedrigem Blutdruck leidet, wäre ein ESTA-Problem am Vorabend des Fluges wohl eine wirksame Kurzzeit-Therapie. Empfehlen würde ich sie dennoch nicht.